aus NEUE REVUE

vom 28.10.1999

Jutta Ditfurth:

Zahltag, Junker Joschka!

(Teil 3)

Der Prügel-Macho und das böse Wort "Öko-Nillen"

"Die ATOM-MAFIA DARF STRAHLEN"
"Die Atom-Mafia darf strahlen"

Er spürte was von Kindermörder Bartsch und Frauenmörder Honka in sich. Auch "Stalin war so ein Typ wie wir". Und seine Clique diskutierte, ob Männer Frauen in den Bauch treten dürfen - wg. freier Selbstverwirklichung. Joschka Fischer - darf so einer trotz Herrenring und Champagnerglas Deutschlands Außenminister und Vizekanzler sein? Darf so einer Regierungschef und oberster Befehlshaber der Bundeswehr werden, falls Kanzler Schröder mal ausfällt?

Die Spontis waren am Ende, die Frauenbewegung wurde stark. Um sich dieser neuen Macht anzubiedern, entschied sich der szenebekannte Prügelmacho und ewige schwäbische Katholik Josef Fischer für Selbstgeißelung: die Strukturen seiner Gruppe "Revolutionärer Kampf' seien militarisiert gewesen. Es hätten "Befehl und Unterordnung geherrscht. "Wahnsinnige Angst" habe er "vor bestimmten Sachen" in sich: "Bartsch* und Honka** sind Extremfälle, aber irgendwo hängt das als Typ in mir drin."

Einfache Mörder genügten dem Flagellanten nicht: "Stalin war so ein Typ wie wir." Die Frauen fielen nicht darauf herein.

So wandte sich Fischer ferneren Vorbildern zu. Seitenlang schwärmte er von der religiösen Massenerhebung im Iran und schilderte seine "geistige Verunsicherung durch die persische Revolution": Die "Religion" und das "Heilige" des islamischen Fundamentalismus würden als etwas Wesentliches in sein Leben treten. Alles, was Macht bedeutet, reizte ihn. Der Inhalt war gleichgültig.

Wir, Menschen aus der Anti-AKW-Bewegung, der undogmatischen Linken und den neuen sozialen Bewegungen, interessierten uns nicht für die jammervolle Frankfurter Sponti-Szene. Wir gründeten 1977 die erste Frankfurter Bürgerinitiative gegen Atomanlagen. Zur Eröffnungsveranstaltung kamen 1000 Leute. 1978 wollte die NPD Frankfurt/Main zur "Hauptstadt der Bewegung" machen. Wir organisierten in einem linken Bündnis "Rock gegen rechts", und 50 000 Menschen vertrieben die Nazis aus Frankfurt. 1979 gründeten wir die hessischen Grünen, 1980 die Bundespartei.

1981 wehrten sich Zehntausende gegen den Bau der Startbahn West. Linke und Konservative kämpften gemeinsam gegen ein Projekt, das unendlich viel Wald zerstören, Lärm und Luftgifte bringen und eine zentrale militärische Funktion haben würde Die Bewegung ging an den Frankfurter Spontis vorbei.

Im Frühling 1981 kandidierten zum erstenmal Grüne für das Frankfurter Stadtparlament, den "Römer". Cohn-Bendits "Pflasterstrand" hetzte gegen uns "Ökospießer", "politische Nillen" und "grüne Mäuse". Ein "Pflasterstrand"-Autor nannte uns "zu krawattenhaft, zu angepaßt". Keine einzige Stimme sollte man uns schenken, "da die Wahl von solch blassen Figuren der Stadt nur schaden würde".

Fischer staatstragend Fischer in Turnschuhen
"Für künftige Ämter und Posten war ein bißchen Mitgliedsbeitrag kein zu hoher Einsatz"

Wir gewannen 6,4 Prozent, das bedeutete sechs Stadtverordnete. CDU und SPD haben uns Eintrittskarten für den Wahlabend im "Römer" verweigert. Wir standen vor der Tür, und die hielten sie zu. Fotografen und Kameraleute kamen. Plötzlich tauchte ein gewisser Cohn-Bendit auf. Was scherte ihn sein Gehetze von gestern? Hauptsache, er war auf den Fotos. Schließlich hatten wir Erfolg. Da wollte "Rumpelstilzchen" dabei sein.

Bald machten wir spektakuläre Oppositionspolitik im Parlament und außerhalb: Massenversammlungen gegen die Startbahn West und gegen die Atomanlagen in Biblis und Hanau. Aufklärung über die Stationierung von Pershing-Raketen in Frankfurt-Hausen. Wir mauerten Sprengkammern in der Friedensbrücke zu, in denen im sogenannten Verteidigungsfall Atomminen gezündet werden sollten. Wir demonstrierten gegen Luftvergiftung und Pseudokrupp. Wir erzwangen Debatten über die Abwasservergiftung durch die Hoechst AG. Eifersüchtig beobachteten die Spontis, was da in "ihrer" Stadt passierte. Da hauen Leute Erfolg. Ohne sie! Sie versuchten sich einzumischen.

1982 sollte Ernst Jünger den Goethepreis der Stadt Frankfurt erhalten. Wir grünen Stadtverordneten lasen die Werke Jüngers und erschraken über die rauschhafte Kriegs- und Massenmordverherrlichung, über Jüngers Jubel für den Nationalsozialismus und seinen glühenden Antisemitismus: "Der Stoß gegen den Juden", hatte sich der künftige Goethepreisträger beschwert, "sei immer viel zu flach angesetzt. Wir protestierten ausführlich und schriftlich gegen die Entscheidung des Preiskomitees. Solch ein Antihumanismus sollte nicht mit dem Goethepreis geehrt werden.

Unsere Argumente machten bundesweit und wochenlang Schlagzeilen. Teile der SPD übernahmen unsere Argumente. Die Spontis versuchten sich mit einer eigenen Position zu profilieren. In der "Batschkapp" und im "Pflasterstrand" outete sich ihr Wortführer Fischer als Verehrer Ernst Jüngers. Jünger habe seine Biographie oft gekreuzt: "Sowohl Ernst Jünger als auch Carl Schmitt galten" in der Szene ,als eine Art intellektueller Geheimtip ... es waren Faschisten, zweifellos, dennoch las man sie mit großem Interesse." Erst habe man in Jünger den "Kämpfer" verehrt, dann den "Drogen-Jünger", dann den "kosmischen Jünger".

Die Schriftstellerin Renate Wiggershaus schrieb daraufhin mit kluger Weitsicht: "Die (Spontis) sagen, Jünger sei zwar ein Faschist, ein Denunziant usw. gewesen, aber: Hand aufs Herz, wie hätten wir uns verhalten? Sie kommen mir so vor, als wollten sie schon heute - ganz ungefragt - ihre Rechtsschwenkung oder ihr Mitläufertum von morgen rechtfertigen.'

Wer etwas werden wollte, kam an der alternativen und grünen Bewegung nicht mehr vorbei. Fischer jammerte, seine linksradikale Identität habe "sich in einem magischen Kreis verfangen, aus dem es keinen Ausweg, allerhöchstens Flucht gibt: Flucht in den Beruf, Flucht in den Untergrund, Flucht ins ferne Land, Flucht in die Droge, Flucht in den Selbstmord." Was für eine Perspektive. Dann doch besser Machtpolitik bei den Grünen.

Bei den Landtagswahlen am 26. September 1982 bekamen die Grünen 8 Prozent und errangen 9 Mandate im Hessischen Landtag. Die FDP war an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. Wenige Tage zuvor hatte die FDP die SPD/FDP-Bundesregierung verlassen, um den sozialdemokratischen Bundeskanzler Helmut Schmidt zu stürzen und mit Helmut Kohl und der CDU zu koalieren.

Jutta Ditfurth
Jutta Ditfurth

So sprach Willy Brandt in der Bonner TV-Runde an diesem 27. September 1982 von einer "neuen Mehrheit links von der Union". Am nächsten Abend stand Herr Fischer ungeduldig vor den noch verschlossenen Redaktionsräumen des "Pflasterstrands", wo sich die "Sponti-Wähler-Initiative" traf. Man beschloß, die Grünen zu erobern.

Drei Jahre später beschrieb Barbara Köster, die ehemalige Freundin von Cohn-Bendit, das Vorhaben ihrer Freunde so:

"Sie machten das bei den Grünen, was sie immer gemacht haben. Es entsteht etwas, sie müssen den Fuß reinkriegen, und dann müssen sie's übernehmen, und dann ist es kaputt, weil es keinen Inhalt mehr hat."

Der Frankfurter Kreisverband der Grünen ahnte im September 1982 nichts von seinen neuen Freunden. Aber bald darauf betrat Fischers Gang den Versammlungsraum der Grünen. Vor uns saßen eines Abends, wie Fußballer auf der Reservebank, Männer, die uns bisher als "ökologische Spinner" befehdet hatten. "Warum wollt ihr plötzlich in die Grünen eintreten?" fragten wir. "Wir sind Joschkas Freunde! Joschka soll in den Bundestag", antworteten sie. Sie gaben vor, keine inhaltlichen Differenzen zu uns zu haben. Wir nahmen sie als neue Mitglieder auf. Wir glaubten, daß wir sie überzeugen könnten. Wir rechneten nicht mit ihrem ganz anders gelagerten Interesse.

So stieß eine erfahrene Schlägertruppe mit alternativem Gehabe und ohne Skrupel auf eine naive, basisdemokratische Partei mit offenen Strukturen und zerbrechlicher Bündnisstruktur. Sie kamen nicht allein.

Mit der wortschwachen "Fischergang" kam auch die Sponti-Propaganda-Abteilung vom "Pflasterstrand" in die Grünen. In dem Blatt durfte locker auch darüber geschrieben werden, ob es zur freien Selbstverwirklichung des Mannes gehöre, einer Frau in den Bauch zu treten.

Bald tauften sich Teile der Redaktion in "Arbeitskreis Realpolitik" um und legten Ende Oktober 1982, nach der erfolgreichen Landtagswahl, der grünen Landesversammlung einen Antrag vor. Anmaßend drohen die neu Eingetretenen der jungen Partei: Wer sich nicht dem "Zwang zur Realpolitik" unterwerfe und das Bündnis mit der SPD verweigere, trage Schuld an der Spaltung der Grünen.

Wer sich einfach nur an das bisherige Selbstverständnis der Grünen heften wollte, sich in urgrüner Tradition als Partner der sozialen Bewegung verstand - das galt erst einmal für die Mehrheit der Partei -, wurde als "Fundamentalist" stigmatisiert. Das sollte an den islamischen Fundamentalismus erinnern. Damit kannte sich der katholische Josef aus. Die Grünen, die den selbsternannten Realpolitikern widerstanden, sollten in den Geruch von Intoleranz, Dogmatismus und Realitätsferne kommen.

Bald halfen vor allem der "Spiegel", die "Frankfurter Rundschau" und auch die "taz", diese Denunziation zu verbreiten. So konnten die "Realos" immer wieder einer inhaltlichen Diskussion ausweichen.

Mit einer Koalitionsforderung wären die Spontis 1982 bei den Grünen noch auf die Schnauze gefallen. So verlangte der neu erfundene "Arbeitskreis Realpolitik" alias "Pflasterstrand" erst einmal nur einen Baustopp für die Startbahn West (ein Moratorium) und das Genehmigungsverfahren für das Atomkraftwerk Biblis C einzufrieren. Immer noch gaben die "Realos" vor, keine inhaltlichen Differenzen zu haben.

Für ein bißchen Zeitgewinn ohne die Sicherheit, die beiden Natur und Gesundheit zerstörenden Projekte endlich loszuwerden, sollte Holger Börner zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Noch vor kurzem hatte der den Grünen Prügel mit der "Dachlatte" angedroht. Und beinahe wäre Börner über den Startbahn-Widerstand, die größte hessische Protestbewegung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, aus dem Amt gestürzt.

Die Grünen waren für die "Realos" der einzige Weg, um - nach all dem Frust und Leid - über Regierungsbündnisse an die verlockenden Staatspfründe zu kommen. Für viele Realos haben die Grünen heute diesen Zweck erfüllt. Die Gesellschaft im Interesse von Mensch und Natur verändern? Darum ging es ihnen von dem Tag ihres Eintritts an nie. Sie haben die Grünen übernommen, und nun ist das Projekt als emanzipatorisches "kaputt, weil es keinen Inhalt mehr hat" (Barbara Köster).

Fischer 1995 1995, Fischer trank noch Bier statt Sekt, 112 Kilo Selbstverliebtheit.
Es wird totgeschwiegen, wie er sich in die Partei getrickst hat. Jetzt ist er der Hoffnungsträger, macht Karriere, trägt Rolex.

Die selbsternannten Realpolitiker scheiterten im Oktober 1982 - vorerst. Die hessischen Grünen beschlossen, was bis dahin grüne Politik war: Die SPD, hauptverantwortlich für alle zerstörerischen Großprojekte in der Region, sollte von den Grünen nicht an die Regierung gehievt werden. Statt dessen sollten u. a. alle hessischen Atomanlagen sofort stillgelegt werden und der für die Startbahn West abgeholzte Wald wieder aufgeforstet werden. Ließe sich die SPD auf solche wesentlichen Forderungen ein, dann könne man sie allerhöchstens tolerieren.

Daß die "ökologischen Nillen" sich den neugrünen Spontikriegern nicht gleich ergaben, verlangte nach Rache. In Frankfurter Spontikneipen, Wohngemeinschaften und Projekten wurden Mitglieder geworben. Für künftige Ämter und Posten war ein bißchen Mitgliedsbeitrag kein zu hoher Einsatz. Binnen weniger Monate traten rund 600 neue Mitglieder in die hessischen Grünen ein.

Hinter den Kulissen hatte sich der "linksradikale" Fischer mit den rechten Grünen verbündet, unter ihnen beispielsweise Karl Kerschgens, der auf Landesversammlungen immer wieder mit seinen Klagen über zu viele Ausländerkinder in Schulklassen oder mit seiner Ablehnung der Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn aufgelaufen war.

Gemeinsam kippten Spontis und rechte Grüne basisdemokratisch aufgestellte Kandidaten und setzten durch, daß Fischer auf dem dritten Platz der hessischen Landesliste für den Bundestag kandidierte. Das erste Etappenziel wurde am 6. März 1983 erreicht: Fischer wurde in den Bundestag gewählt. Man belohnte Kerschgens später mit dem Posten eines hessischen Staatssekretärs.

Der neue Bundestagsabgeordnete, der auch in Bonn planvoll erst mal noch den rebellischen Szene-Prolo mimte, war im geheimen längst zum allseits anpassungsfähigen Aufsteiger mutiert. In einem Interview verriet er seinem Kumpel Cohn-Bendit nach kurzer Zeit im Bundestag: "Ich wundere mich immer noch, daß ich jeden Tag mit den Verantwortlichen dieses Landes zu tun habe und man von gleich zu gleich miteinander umgeht." Das Bekenntnis eines Emporkömmlings.


* Metzger Jürgen Bartsch quälte vier Jungen zu Tode, starb 1976 in einer Heilanstalt
** Nachtwächter Fritz Honka erschlug und zersägte vier Frauen, starb 1998 im Gefängnis
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(NEUE REVUE 44/1999)

Nächste Woche:
Der Sturm auf die ganze Partei beginnt... (Neue Revue 45/99)

Bisher erschienen:
So grün war mein Traum (Neue Revue 42/99 v. 14.10.1999)
Deutschland, das ist dein Außenminister (Neue Revue 43/99 v. 21.10.1999)

Siehe auch:
Christian Schmidt: "Fischer hat die Grünen gekapert" (Jungle World 32/1998)
Die Grünen und was von ihnen geblieben ist

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