http://meltingpot.fortunecity.com/dunsmuir/801/presse/neuerevue9942.htm |
aus | vom 14.10.1999 |
"Die Atom-Mafia darf strahlen" |
Vor einem Jahr war das rotgrüne Milieu wie berauscht. SPD und Grüne kamen an die Regierung. Stern und Spiegel verhießen eine "neue" und "rote" Republik. Josef Fischer prahlte mit einer "demokratischen Revolution". Das rotgrüne Hofblatt taz schwatzte von "politischer Energie", die "wieder frei fließen" könne und drohte allen Kritikern "verderbt uns nicht die Party"! Marion Gräfin Dönhoff (Die Zeit) sehnte sich nach rotgrünen Führern: "Seit Jahren haben wir darauf warten müssen, daß nach einem der seltenen großen Umbrüche jemand das Steuer in die Hand nehmen und den Weg weisen würde."
Der Wegweiser zeigte - statt auf eine "demokratische Revolution" - in Richtung Krieg. Wer nicht auf die rotgrüne "Party" eingeladen ist, bekommt eine schlechtere Gesundheitsversorgung. "Frei fließen" darf die Atomenergie.
Zwanzig Jahre nach der Gründung sind die Grünen am falschen Ziel und am Ende. Wie wurde aus einer rebellischen, emanzipatorischen Partei ein autoritärer, korrupter Haufen?
12./13. Januar 1980, die Stadthalle von Karlsruhe barst fast aus den Fugen: 1004 Delegierte wollten eine völlig neue Partei gründen. Fast dreihundert Journalisten beobachteten hämisch einen Parteitag, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatten: Bäuerliche Bauplatzbesetzer vom Kaiserstuhl begegneten radikalen Feministinnen aus Köln. Militante Brokdorfdemonstranten aus Hamburg und Hessen diskutierten mit christlichen Pazifisten aus Bayern oder mit Vogelschützern aus Niedersachsen. Punks mit Schlipsträgern. Kommunisten mit Anthroposophen.
Die Partei war binnen drei Monaten auf mehr als 10000 Mitglieder gewachsen. Die Grünen wollten keine Ministerämter, sie wollten politisch unendlich viel verändern: alle Atomanlagen sofort stillegen. Die Stationierung neuer Raketen verhindern und raus aus der Nato. Quantitatives Wirtschaftswachstum begrenzen. Humanere Wohnungen. Kürzere Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Abtreibung liberalisieren. Schutz von Minderheiten. Eine andere Weltwirtschaftsordnung.
Die SPD/FDP-Bundesregierung war stramm auf Aufrüstungskurs. Aus Schornsteinen und Abwasserkanälen drangen Umweltgifte. Im italienischen Seveso war eine ganze Region verseucht worden. Die Gleichberechtigung von Frauen war ein schlechter Witz. Sehr unterschiedliche Menschen hatten das "Modell Deutschland" satt. Viele wollten eine andere Republik: tolerant, demokratisch, ökologisch, friedfertig. Ohne Ausbeutung, Bespitzelung, Diskriminierung und juristische Verfolgungen, wie viele AKW-Gegner sie im "Deutschen Herbst"(1977) erlebt hatten.
Im Frühjahr 1977 hatten die Diskussionen in den bunt / alternativ / grünen Strömungen von Flensburg bis München begonnen. Sollte man wirklich eine Partei gründen? Die Bedenken wogen schwer: Waren nicht Legionen von Abgeordneten in Parteien und Parlamenten korrumpiert worden? Wenn eine neue Partei, dann eine mit harten Bremsen gegen Anpassung und Korruption, sagten die Bunten und Alternativen. Petra Kelly nannte es "Anti-Partei-Partei".
"... und heute nur noch ein korrupter Haufen" | ||
---|---|---|
Ludger Volmer (47). Früher gegen die NATO, heute: Staatssekretär im Außenministerium, Soldaten in den Kosovo! | Antje Vollmer (56), Bundestagsvizepräsidentin. Amt und Würde statt Straßen-Demo | Cem Özdemir (33), innenpolitischer Grünen-Sprecher. Fuselfreies Outfit und fette Diäten |
Keine Partei, auch keine linke, besaß demokratische Strukturen wie die neue grüne Partei: Trennung von Amt und Mandat, Rotation, Abgabe von Diäten. Kein Vorsitzender, sondern gleichberechtigte Sprecherinnen. Die Frauenquote. Das Verbot, Ämter anzuhäufen, Aufsichtsratsposten und Beraterverträge anzunehmen. Kreis- und Landesverbände hatten in vielen Fragen Autonomie. Alle Sitzungen waren öffentlich. Einfache Mitglieder konnten sich direkt in Programmdiskussionen einmischen. Die basisdemokratischen Strukturen wurden später abgeschafft, weil sie wirkten.
Die Mehrheit der Gründungsmitglieder wird rund zwanzig Jahre später die Grünen verlassen haben. Unter dem gleichen Namen verbirgt sich heute ein völlig anderes Projekt. Eine Petra Kelly hätte zum Beispiel nicht verstanden, weshalb Cem Özdemir ein fusselfreies gelacktes Outfit wichtiger ist als die Dritte Welt.
An diesem 12. Januar 1980 verlas Petra Kelly Grußadressen aus aller Welt. Die zierliche blonde EG-Verwaltungsrätin, die sich nicht entscheiden konnte, ob sie den Dalai Lama mehr schätzte oder Rosa Luxemburg, hatte ihre ersten politischen Erfahrungen in den USA gemacht. Kelly war 1979 aus der SPD ausgetreten und hatte die Liste der "Sonstigen Politischen Vereinigung (SPV) Die Grünen" bei der Europawahl 1979 angeführt. Das brachte 3,2 Prozent der Stimmen und 4,5 Millionen Mark: die Startfinanzierung.
Die Bunten und Alternativen hielten Europa für abgehoben und zogen Kommunalpolitik und den Internationalismus vor? So hatten Bürgerliche und Konservative unter dem Namen "Sonstige Politische Vereinigung (SPV) Die Grünen" allein kandidiert.
Petra Kelly (1947 - 92). Ikone der Grünen. Führte sie 1983 in den Bundestag (5,6%) |
Petra Kelly gehörte 1983 der ersten Bundestagsfraktion der Grünen an. Auf die schlichte Frage nach ihrem Befinden antwortete sie einmal einem Reporter: wie bedrohlich doch die Atomwaffenpläne der Bundesregierung seien und wie groß daran die Schuld Franz Josef Strauß'. Daß die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf zu verhindern sei und wie eine andere politische Kultur auszusehen habe. Von einem zweiten Satz des Reporters ist nichts bekannt?
Petra Kelly rechnete sich nicht den Linken zu. Den Realos mißtraute sie ein paar Jahre später zutiefst: "Die andere Parteien können sich nun die guten, anpassungsbereite Grünen aussuchen", sagte sie. Doch sie beanspruchte für sich eine fast missionarische Sonderrolle und spielte, als sie sich später zu rotieren weigerte, den Realos in die Hände.
Draußen vor der Halle fotografierte im Januar 1980 ein Unbekannter alle Autokennzeichen. Drinnen feierte Herbert Gruhl die Versammlung als ein "Jahrhundertereignis". Der ehemalige CDU-Abgeordnete scheiterte vorerst mit seinem Verlangen nach einer ordentlichen, autoritären deutschen Partei. Eine Ein-Mann-Partei, wie heute unter Fischer, hätte Gruhl gut gefallen.
Einige Wochen vor der Gründung hatten einige Grüne Rudi Dutschke nachts durch das Fenster in die grüne Geschäftsstelle geschmuggelt. Haustyrann Gruhl sollte sich nicht aufregen. Rudi Dutschke konnte nicht mehr an der Parteigründung teilnehmen. Er war im Dezember 1979 an den Spätfolgen des Attentats von 1968 gestorben.
Die Rettung des deutschen Waldes interessierte Herbert Gruhl, die soziale Lage der Menschen nicht. Sein darwinistischer Bestseller "Ein Planet wird geplündert" (1975) fand in seinem letzten Buch "Himmelfahrt ins Nichts" (1992) eine menschenverachtende Fortsetzung: "Für einige überfüllte Populationen" - damit meinte er Menschen in der "Dritten Welt" - "mag dann Gewalt oder die Atombombe eines Tages keine Drohung mehr sein, sondern Befreiung."
kommentar Jutta und Joschka von Peter Bartels (NEUE REVUE) |
---|
Joschka Fischer darf Reden für Deutschland schreiben. Thomas Schmid darf Leitartikel für "Die Welt" schreiben. Und Jutta Ditfurth hat Schreibverbot bei der "Frankfurter Rundschau". Was die drei miteinander zu tun haben? Sie waren und sind Grüne. Jutta Ditfurth gründete mit Petra Kelly die Partei der Grünen: "Atomkraft, nein danke!", "Nie wieder Krieg!". Joschka Fischer agitierte mit Thomas Schmid die Arbeiter von Opel an der Basis. Als die Revolution am Fließband nicht gleich klappte, kamen sie zu den Grünen. Und Jutta Ditfurth mußte gehen. Joschka Fischer, in dessen PKW man die Knarre fand, mit der Minister Karry ermordet wurde, ist heute Deutschlands Außenminister und sitzt sich im Regierungs-Jet einen Wolf. Und Revolutionär Thomas Schmid leitartikelt sich in der rechten "Welt" Finger und linke Gesinnung wund. Und Jutta Ditfurth, der "kategorische Imperativ" der Grünen? Sie schreibt ab heute in NEUE REVUE. Die Geschichte der Grünen. Vom atemberaubenden Aufstieg bis zum unaufhaltsamen Abstieg. Sie schreibt, warum ihr Grüner Traum zerbrach, wer ihn zerstörte. Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit, Antje VolImer, Jürgen Trittin - sie alle sind Durchlauf-Posten dieses grünen Kassensturzes. Die Geschichte der Grünen, wie sie noch nie geschrieben wurde. Kompromißlos, wie Jutta Ditfurth war und ist. Warum ausgerechnet in NEUE REVUE? Weil sie hier darf, was rotgrüne Blätter ihr verweigern - ihre Meinung sagen. Nicht mal im "Spiegel"... |
Homosexualität war für Gruhl - wie für die meisten Deutschen 1980 - eine "widernatürliche" Sache. Herbert Gruhl sollte in der Programmkommission aufgeklärt werden. Gutachten von Sexualwissenschaftlern wurden bestellt, und ein leibhaftiger Schwuler (Corny Littmann, heute Chef vom "Schmidt's Theater") diskutierte als Sachverständiger mit dem alten Reaktionär. Dessen Vorurteile gerieten ins Wanken, bis ihn seine rechte Basis zurückpfiff.
Thomas Ebermann, der Öko-Sozialist aus Hamburg, hatte an diesem Januar-Wochenende 1980 Streß. Der 29jährige war einer der bekanntesten Hamburger Linken, kam aus der Lehrlingsbewegung und dem Kommunistischen Bund (KB) und hatte in Hamburg seit 1977 die erfolgreiche Bunte Liste mitaufgebaut. Die meisten Bunten und Alternativen waren wie er längst in die grünen Kreis- und Landesverbände eingetreten, um die neue Partei mitzugründen. Aber 250 Alternative saßen an diesem Gründungsparteitag auf der Empore der Halle. Sie wollten statt der Grünen eine klassische linke Partei oder ein Alternatives Wahlbündnis. Ebermann überwarf sich mit ihnen. Er fand es leichtsinnig, auf diese Chance, die Gesellschaft zu verändern, zu verzichten.
Ebermann zog 1982 für die Hamburger Grünen in die Bürgerschaft ein und führte die SPD in Tolerierungsverhandlungen vor. Damals wollte die Grün Alternative Liste (GAL), wie die Bunte Liste jetzt hieß, "Sand im Getriebe" sein, "nicht Öl".
Ich war eine schüchterne Delegierte aus Hessen, kam aus der Anti-AKW-Bewegung und wollte durch die Grünen die Gefahr einer grünen Nazipartei abwehren. Denn Nazikreise wollten ihre Blut-und-Boden-Ideologie mit der Ökologie wiederbeleben und populär machen. Ganze Nazi-Organisationen versuchten, die Grünen zu unterwandern. Außerhalb der Grünen versuchte die NPD eine braune grüne Partei zu gründen. Einer ihrer prominentesten Verbündeten war damals der Arzt Max Otto Bruker aus Lahnstein.
Sonntag, 13. Januar 1980: Feministinnen erkämpften sich Mikrophone. Versammlungsleiter erstickten unter Zetteln mit Wortmeldungen. Auf dem Fußboden spielten Kinder. Am Ende hielt jemand die große Uhr an, damit niemand vor dem Gründungsbeschluß den Saal verließ. Die neue Partei war gegründet. Die Delegierten sprangen auf und riefen: "Weg mit dem Atomprogramm! Weg mit dem Atomprogramm!" 19 Jahre später haben die Grünen ihren Gründungskonsens längst verraten.
Aber 1980 hingen die Grünen noch nicht am Tropf der Medien und der Wirtschaft. Ihr Selbstbewußtsein brachten sie zum Beispiel aus der Anti-AKW-Bewegung mit. Dort hatten sie gelernt, wie aus einer winzigen gesellschaftlichen Minderheit zwischen 1973 und 1977 eine Massenbewegung werden konnte.
Ohne daß auch nur ein AKW-Gegner im Bundestag saß, hatte dieser mehr als 70 von 90 geplanten Atomkraftwerken verhindert: durch Aufklärung, Demonstrationen und Bauplatzbesetzungen.
So sehr die politischen Gegner und die meisten Medien auch hetzten, überall im Land zogen in den folgenden Jahren Grüne in die Parlamente ein. Sie brachten lang unterdrückte Anliegen von Bewegungen ins Parlament.
Aber mit dem Erfolg kamen auch die Karrieristen. Im September 1982 zerbrach die Bonner SPD/FDP-Koalition, und wenige Tage später, am Abend der hessischen Landtagswahl, redete Willy Brandt mit schwerer Zunge in der Bonner TV-Runde von einer "linken Mehrheit diesseits der Union". Das alarmierte einige, die ihre letzte Chance sahen, an die Futtertröge zu kommen.
Erst im Oktober 1982 wurde ein gescheiterter Sponti namens Josef Fischer bei den Grünen aktiv. Noch 1978 hatte Fischer verächtlich gesagt: "Seien wir doch einmal ehrlich: Wer von uns interessiert sich denn für die Wassernotstände im Vogelsberg, für Stadtautobahnen in Frankfurt, für Atomkraftwerke irgendwo, weil er sich persönlich betroffen fühlt?"
Bald darauf betete Fischer den islamischen Fundamentalismus an und schwärmte für die "Glaubenskraft" der Mullahs im Iran. In Verdrehung dieser Peinlichkeit schmiedete er später das Schimpfwort "Fundamentalisten" für seine innerparteilichen Gegner. Fünf Monate nach seinem Auftauchen, im März 1983, saß Josef Fischer im Bundestag. Der lange Putsch gegen die Grünen hatte begonnen.
Nächste Woche:
Wie Joschka Fischer und seine Frankfurter Gang die Grünen in Hessen plattmachten (Neue Revue 43/99)
Siehe auch:
Tits and Politics (Der Tagesspiegel v. 16.10.99)
Es fischert im Blätterwald ... oder: Wie sich die Zeiten ändern (Junge Welt v. 16.10.1999)